Mit vorausschauenden Produktionsstrategien Wachstum in sich wandelnden Märkten erreiche
Produzierende Unternehmen sind zahlreichen Abhängigkeiten unterworfen und unterliegen in der modernen, volatilen Geschäftswelt ständigen Veränderungen. Das birgt einerseits Risiken, weil das bereits gesicherte Auftragsvolumen gewisse Schwankungen erfahren kann. Zugleich eröffnet es aber auch Chancen, weil Unternehmen Kapazitäten für neue Aufträge gewinnen und sich weiterentwickeln können. Um zukunftsfähig zu bleiben, reicht es nicht aus, sich allein auf Vergangenheitswerte, grobe Schätzungen und Momentaufnahmen zu verlassen, um für neue Produkte und Kundenprojekte oder mögliche Auftragsmengensteigerungen die erforderlichen Kapazitäten bereit zu stellen. Notwendig ist ein klares Verständnis für die Grundauslastung der Produktion und die Befähigung, auf zukünftige Ereignisse wie Wachstum, aber auch Krisen zu reagieren. Möglich wird das mit einem strukturierten Baseline Management.
Am Beispiel der Automobilbranche zeigt sich deutlich, wie schnell und tiefgreifend eine als sicher geglaubte und als unumstößlich angesehene Produktionsstrategie Veränderungen erfahren kann. Jahrzehntelang galt die Bundesrepublik als Autoland und produzierte seit Mitte der 1970er-Jahre jedes Jahr mindestens 3,5 Millionen Fahrzeuge, ab Ende der 1990er-Jahre sogar über fünf Millionen Wagen pro Jahr. Doch seit 2018 erfährt die Branche einen Einbruch, bis 2021 sank die Produktion um 16,4 Prozent. Seither steigt sie zwar allmählich wieder an, ist aber von einem stetigen Auf und Ab gekennzeichnet.[2]Der weltweite Vergleich lässt die Sorgen der hiesigen Automobilhersteller noch größer werden: War beispielsweise die Automobilproduktion in China im Jahr 2002 mit 1,1 Millionen Fahrzeugen pro Jahr noch nahezu unbedeutend, ist das Reich der Mitte 20 Jahre später mit über 23 Millionen hergestellten PKW zur uneinholbaren Auto-Großmacht geworden.[3]
In der Post-Covid-Welt wird die weltweite Automobilindustrie stark durch Lieferengpässe, gestiegene Kosten und Rückgang im Konsum beeinflusst.
Die technologische Disruption, weg vom Verbrenner zum BEV (Battery Electric Vehicle) sowie der Trend zum autonomen Fahren, verstärken die Unsicherheit in der mittel- und langfristigen Planung.
Der Baseline Ansatz erzeugt Transparenz gesicherter Produktionsvolumen, ist die Basis für eine Szenarien-Planung und für daraus abgeleitete Effekte mit Einfluss auf Wirtschaftlichkeit und Beschäftigung.
Der Ansatz bietet eine optimale Grundlage für Entscheidungen und mögliche Flexibilisierungslösungen in der Produktion der Zukunft.
Jochen Schabinger, kaufmännischer Werkleiter Robert Bosch GmbH
Auf Vergangenheitswerten basiertes Produktionsvolumen kann Krisen herbeiführen
Diese Verschiebungen sind unter anderem auch auf die Transformation weg von Verbrennern hin zu Elektroantrieben zurückzuführen, bei der deutsche Automobilhersteller nicht im gleichen Tempo vorangegangen sind wie neue Player auf dem Markt oder Mitbewerber. Vor einigen Jahren noch hatten Produzenten, gerade die Automobilzulieferer, deutlich mehr Planungssicherheit und konnten nahezu zweifelsfrei absehen, welche Projekte wie viel Umsatz generieren werden. Nun aber beherrschen mehr Unsicherheiten die Branche und bedrohen die Produktionsgrundlage vieler Unternehmen. Ein großes Problem dabei ist, dass viele Institutionen ihre notwendige Grundauslastung gar nicht klar benennen können und sich bei ihrem Produktions- und Auftragsvolumen eher auf Erfahrungswerte der letzten Jahre verlassen. Bei Umbrüchen, wie beispielsweise in der Automobilbranche, sind diese aber hinfällig; entsprechend halten Unternehmen bei potenziell neuen Aufträgen zu hohe Kapazitäten vor – und werden bei Nichtvergabe negativ überrascht.
Notwendig ist daher ein strukturiertes Baseline Management. Die Baseline ist das Wertschöpfungsvolumen oder Herstellkostenvolumen auf Basis gesicherter Aufträge bzw. Kundenverträge ggf. mit Abschlägen aufgrund Unsicherheiten oder Saisonalitäten, also die sichere Grundauslastung der Produktion. Um diese zu berechnen, werden Bestellungen, Abrufmengen oder vertraglich zugesicherte Produktionsmengen mit einem Sicherheitsabschlag verwendet. Wie viel Kapazität ist verfügbar? Welchen Ressourcenbedarf hat die Produktion? Welche Werkzeuge und wie viele Mitarbeitenden braucht es? Solche Fragen lassen sich im Zuge des Baseline Managements fundiert beantworten; somit kann Planungssicherheit für die kommenden Jahre hergestellt werden und Organisationen können sicher ermitteln, wie viele über die Grundauslastung hinausgehende zukünftige Aufträge als Chancen sie berücksichtigen müssen und können.
Der Betriebspunkt eines Unternehmens zeigt das Verhältnis zwischen der erbrachten Leistung und der bereitgestellten Ressourcen und wird unter Berücksichtigung der für die Produktion relevanten Eingangsgrößen aufbereitet. Die installierte Kapazität (Personal, Anlagen, Flächen, Lagerbestände, etc.) wird im Verhältnis zum Herstellkostenvolumen aufgestellt. Daraus wird ersichtlich, ob am aktuellen Betriebspunkt wirtschaftlich produziert wird. Schwankungen innerhalb einer Periode können ohne Eingriff zur Anpassung der Ressourcen akzeptiert werden. Der ideale Betriebspunktbezeichnet eine eingestellte Situation aus Wertschöpfungsvolumen und Ressourcen für eine bestmögliche Zielerreichung und somit auch Wirtschaftlichkeit in der Produktion.
Zu welchem Zeitpunkt sich der Betrieb eines Werkes nicht mehr lohnt, kann ebenfalls auf Basis des Baseline Managements eindeutig dargestellt werden. Der kritische Betriebspunkt ermittelt und zeigt das unterste Volumen an Wertschöpfung oder Herstellkostenvolumen, um einen Standort am Break Even zu betreiben. Wird dieser unterschritten, können spezielle Funktionen in der Produktion nicht mehr wirtschaftlich von innen heraus besetzt und betrieben werden, z.B. ausreichend Experten in den indirekten Bereichen eines leistungsfähigen Produktionsbetriebes. Diesen wichtigen Fixpunkt kennen viele Unternehmen tatsächlich nicht, weil aufgrund guter Auslastung über viele Jahre hinweg – wie in der deutschen Automobilbranche – ein Monitoring als unnötig erachtet wurde und deshalb fehlt. Wird das Baseline Management hingegen frühzeitig begonnen, kann das Absinken auf den kritischen Betriebspunkt durch entsprechende Maßnahmen idealerweise abgewendet werden. Zusätzlich zum kritischen Betriebspunkt können Eingriffsgrenzen definiert werden, bei denen entsprechend gewarnt wird und Handlungen notwendig und vordefinierte Maßnahmen eingeleitet werden.
Kapazitätsbedarf von übermorgen anhand von Vertriebsszenarien ermitteln
Verschiedene Vertriebsszenarien, die aus konkreten Aufträgen, Angebotschancen und verschiedenen Wahrscheinlichkeiten bestehen, werden im Baseline Management verwendet, um ausgehende von der Grundauslastung der Produktion verschiedene Auslastungsszenarien darzustellen. Zukunftsfähigkeit erreichen Unternehmen nur, wenn sie heute schon ihren Bedarf an Ressourcen, Mitarbeitenden und Werkzeugen von übermorgen absehen können und auf Vertriebsseite den Drang wecken, neue Aufträge für das Unternehmen und letztendlich Auslastung für die Produktion zu generieren. Dann kann auch in Kauf genommen werden, dass der derzeitige Abstand zum idealen Betriebspunkt möglicherweise zu groß ist, das Werk aber in Zukunft neue Aufträge erfüllen kann. Anstatt bei Erreichen der definierten Eingriffsgrenze zum kritischen Betriebspunkt Mitarbeitende zu entlassen oder ein Werk gar zu schließen, kann das Baseline Management unter Berücksichtigung gewichteter Vertriebszahlen zum Überwinden einer „Flaute“ beitragen und sogar die künftige Wettbewerbsfähigkeit eines Unternehmens stärken. Dafür gilt es, Kundenanfragen und Angebote anhand ihrer Eintrittswahrscheinlichkeit und Plausibilität zu bewerten und entsprechend zu gewichten. Welche Vertriebsaktivität für ein Unternehmen die bessere ist, muss im Zuge des Baseline Managements in Abstimmung zwischen Vertrieb und Produktion individuell bewerten werden. Um die richtigen Entscheidungen zu fällen, ist auch zu analysieren, welche Ressourcen und Kapazitäten für die unterschiedlichen Vertriebsszenarien vonnöten sind. Die Einführung flexibler Arbeitszeitmodelle oder Mitarbeitende über Kurzarbeit an den Betrieb zu binden, sind mögliche Maßnahmen, um Kompetenzen zu erhalten. Ein Beispiel: So lässt sich etwa die Entscheidung des Vertriebs zugunsten desjenigen Angebots unterstützen, bei dem aus der aktuellen Anfrage oder Vertriebsaktivität z.B. zwar erst in ein paar Jahren ein Auftrag entsteht, das Unternehmen aber nur einer von zwei Bewerbern ist. In diesem Fall ist die Konkurrenzlage durch die geringe Mitbewerberzahl deutlich günstiger als bspw. bei einem Angebot für das laufende Kalenderjahr, bei dem die Organisation jedoch mit zehn Mitbewerbern konkurrieren muss. Dadurch entsteht eine höhere Unsicherheit mit Blick auf eine mögliche Beauftragung zur kurzfristigen Auslastung für das Unternehmen. Der erste Fall mit der geringeren Mitbewerberzahl sorgt zwar erst in weiterer Zukunft für eine Auslastung der Produktion, kann im Rahmen des Baseline Managements aber höher bewertet werden.
Häufig ist auch die Überprüfung und Anpassung des Produktportfolios erforderlich. Hierbei ist zu beachten, dass die Produkte, die für die Baseline relevant sind, genauso hinsichtlich Deckungsbetragsverbesserungen auf den Prüfstand zu stellen sind. Hinterfragen müssen Unternehmen, ob Ersatz-Investitionen für Produkte getätigt werden müssen, die sich rückläufig entwickeln und auf dem „absteigenden Ast“ befinden oder nur noch in sehr kleinen Mengen im Ersatzteilgeschäft nachgefragt werden. Für solche Produkte, die sogenannten Streichkandidaten im Portfolio, muss mit dem Kunden über mögliche Maßnahmen oder sogar eine Abkündigung verhandelt werden. Auch die Betrachtung der Werkzeuge und Maschinen ist in diesem Zusammenhang elementar: Festgestellt werden muss, welche Qualität die einzelnen Werkzeuge haben, wann und wie viel in neue Werkzeuge investiert werden soll, für welche Produkte ein Werkzeug überhaupt gebraucht wird und ob für bestimmte Werkzeuge bestimmte Maschinen vorgehalten werden müssen. Welche Investitionen sinnvoll sind, lässt sich nur aufgrund tiefgreifender Analysen der relevanten Einflussgrößen, z.B. Einordnung der Artikelnummer im Produktlebenszyklus, Entwicklung der Absatzmengen, mögliche Ersatzprodukte, zugeordnete Werkzeuge und erforderliche Maschinen, sicher aussagen.
Baseline Management mit externer Unterstützung aufbauen
Um also die Grundauslastung der Produktion abzusichern und gleichzeitig neue Chancen zu bewerten, fundierte Entscheidungen zu treffen und Planungssicherheit herstellen zu können, ist ein Baseline Management für Unternehmen von elementarer Bedeutung. Einführung und Implementierung des Baseline Managements tangieren jedoch oftmals verschiedenste Altlasten in Unternehmen, weshalb Unternehmen den Aufwand für die Untersuchung der vielfältigen Einflussfaktoren und somit eine Einführung häufig scheuen. Zudem sind die handelnden Personen in den Unternehmen in vielen Fällen in ihren Fachbereichen gefangen und betrachten nur Teilaspekte der übergreifenden Zusammenhänge oder sind „betriebsblind“; dadurch erkennen sie viele der vorliegenden Probleme nicht. Um ein Baseline Management erfolgversprechend aufzubauen, ist aus den genannten Gründen das Hinzuziehen externer Berater ratsam, weil deren externer Blick neutral auf die jeweiligen Gegebenheiten in dem Unternehmen und auf die Fakten gerichtet ist. Zudem erfolgt der Härtegrad einer Beurteilung von außen ohne persönliche Befindlichkeiten. Externe Partner sprechen allein auf Basis vorhandener Daten neutrale Empfehlungen aus und bringen zudem das notwendige Fachwissen sowie branchenübergreifende Erfahrungen ein, um die Datenlage des jeweiligen Unternehmens richtig bewerten zu können.
Nach transparenter Darstellung und neutraler Analyse der Ausgangssituation hilft die Einführung eines effektiven Programm Managements, Maßnahmen zur Kapazitätssteigerung und Effizienzverbesserung umzusetzen; die Einführung schafft außerdem einen ganzheitlichen Ansatz und erhöht die Schlagkraft. Im Rahmen des Programm Managements werden initial mit externer Unterstützung durch das Projektteam und anschließend kontinuierlich durch die Organisation verschiedene Maßnahmen abgeleitet und realisiert, um den Abstand zum kritischen Betriebspunkt zu vergrößern. Die Maßnahmen werden logisch, beispielsweise nach Fachbereichen oder Themenfeldern, geclustert und gelangen mit einem strukturierten Projektmanagement in die Umsetzung. Auch Schulungen von Führungskräften und Mitarbeitenden fallen hierunter.
Wichtig ist allerdings, externe Expertise einer Beratung nicht erst in der Nähe des kritischen Betriebspunktes, also in der Krise, zu Hilfe zu nehmen. Beginnen Unternehmen die Einführung und Nutzung von Baseline Management frühzeitig, werden sie in die Lage versetzt, vorausschauend zu agieren, um nicht nur eine drohende Krise abzuwenden, sondern Handlungsoptionen zu erkennen und sich somit sogar Wachstumspotenziale zu erschließen.
Fazit
Ein strukturiertes Baseline Management, mit Darstellung der Entwicklung von Grundauslastung (gesichertem Produktionsvolumen) und Betriebspunkten über der Zeitachse auf Basis realistischer Szenarien für die Zukunftsplanung, schafft Transparenz für Entscheidungen. Dies ermöglicht es einem Unternehmen und insbesondere dessen operativem Bereich, flexibler auf Marktveränderungen zu reagieren und die eigene Wettbewerbsfähigkeit zu stärken. Die Einbindung externer Berater mit branchenübergreifender Erfahrung und neutralem Blick kann Unternehmen dabei unterstützen, blinde Flecken zu identifizieren und effektive Lösungen zu entwickeln. Frühzeitiges Handeln und eine proaktive Herangehensweise ermöglichen es Unternehmen, nicht nur Krisen zu überwinden, sondern auch langfristig zu wachsen und sich neuen Möglichkeiten zu öffnen.
Autoren:
Thomas Jurgeleit, Senior Manager & Mitglied der Geschäftsleitung PROTEMA Unternehmensberatung GmbH
Michael Mezger, Geschäftsführender Gesellschafter PROTEMA Unternehmensberatung GmbH
Alexander Kopp, Teamleiter Logistics & Production Concepts PROTEMA Unternehmensberatung GmbH