Der Markt für Autoersatzteile ist nicht nur ein technisches oder logistisches Feld, sondern zunehmend auch ein politisches und wirtschaftliches Spannungsfeld. Zwischen Originalteileherstellern (OEMs) und unabhängigen Teileanbietern (IAM – Independent Aftermarket) herrscht ein intensiver Wettbewerb um Marktanteile, Datenhoheit und Verbrauchervertrauen. Vor dem Hintergrund der EU-weiten Diskussion um das „Right to Repair“, der fortschreitenden Digitalisierung von Fahrzeugen sowie der zunehmenden Marktkonzentration bei Fahrzeugherstellern stellt sich die Frage, wie offen dieser Markt wirklich ist – und ob er den Anforderungen eines funktionierenden Wettbewerbs genügt.
Marktüberblick: OEM, IAM und OES – ein strukturelles Dreieck
Der Begriff „Originalteile“ bezeichnet in der Regel Komponenten, die direkt vom Fahrzeughersteller (OEM) vertrieben werden. Diese Teile werden entweder selbst gefertigt oder stammen von sogenannten OES – „Original Equipment Suppliers“. Die OES produzieren die gleichen Teile unter eigenem Namen für den freien Markt. Im Gegensatz dazu stehen unabhängige Hersteller, die identische oder funktionsgleiche Teile entwickeln und vertreiben – das sogenannte IAM-Segment.
In Deutschland ist der Ersatzteilmarkt ein Milliardengeschäft. Schätzungen zufolge lag das Umsatzvolumen des freien Aftermarkets im Jahr 2023 bei rund 30 Milliarden Euro. OEMs beanspruchen über autorisierte Werkstattnetze und exklusive Lieferverträge große Marktanteile. Die restlichen Anteile teilen sich freie Teilehändler, Werkstattketten und Onlineplattformen. In Europa zeigt sich ein ähnliches Bild, wobei regulatorische Unterschiede innerhalb der EU für nationale Abweichungen sorgen.
Struktur und Machtverhältnisse: Das System der Abhängigkeiten
OEMs kontrollieren den Ersatzteilmarkt nicht nur über das Produkt, sondern vor allem über den Zugang zu technischen Informationen, Softwareupdates und Diagnosewerkzeugen. Dieses Machtgefälle manifestiert sich in mehrfacher Hinsicht:
- Exklusive Vertriebsverträge: Viele Autohersteller sichern sich die exklusiven Rechte am Vertrieb bestimmter Ersatzteile und schließen so Drittanbieter gezielt vom Markt aus.
- Technische Zugriffsbeschränkungen: Moderne Fahrzeuge sind zunehmend softwaregesteuert. Ohne den Zugang zu Fahrzeugdaten, Steuergerätesoftware oder fahrzeugspezifischer Kalibrierung bleiben vielen freien Werkstätten selbst einfache Reparaturen verwehrt.
- Markenrechte: Einige OEMs lassen Bauteile designrechtlich oder markenrechtlich schützen, was eine Nachproduktion durch Dritte erschwert oder juristisch angreifbar macht.
Diese Konzentration von Wissen, Technik und Distribution führt zu einem asymmetrischen Markt, in dem unabhängige Anbieter nur eingeschränkt konkurrieren können. Freie Werkstätten geraten dabei ebenfalls unter Druck – ihnen fehlen häufig die technischen Mittel, um moderne Fahrzeuge vollumfänglich zu warten.
Rechtlicher Rahmen: Wettbewerbspolitik zwischen Marktöffnung und Marktsicherung
Seit Jahren beschäftigt sich die Europäische Kommission mit dem Spannungsfeld zwischen OEMs und IAM. Die sogenannte Gruppenfreistellungsverordnung (GVO) im Kfz-Bereich erlaubt selektiven Vertrieb, schützt jedoch die Rechte unabhängiger Marktteilnehmer. Sie schreibt unter anderem vor, dass freie Werkstätten Zugang zu technischen Informationen erhalten müssen – theoretisch.
In der Praxis bleibt die Umsetzung jedoch lückenhaft. Das „Right to Repair“, das in den USA und zunehmend auch in Europa diskutiert wird, zielt auf eine gesetzlich verankerte Öffnung der Märkte ab. Es fordert unter anderem:
- Vollständigen und diskriminierungsfreien Zugang zu Reparaturinformationen und Software
- Zugang zu Telematikdaten für Drittanbieter
- Schutz des Verbrauchers vor herstellerseitigen Werkstattbindungen
Die Debatte um Fahrzeugdaten hat mit der wachsenden Verbreitung vernetzter Fahrzeuge eine neue Dringlichkeit erhalten. OEMs sammeln über proprietäre Systeme wie Remote Diagnostics, OTA-Updates oder Fahrverhaltenserkennung eine Vielzahl sensibler Daten – und behalten sich häufig die exklusive Kontrolle darüber vor. Freie Anbieter fordern daher eine unabhängige Datenplattform nach dem Prinzip der Nichtdiskriminierung.
Wirtschaftliche Auswirkungen: Preisstrukturen, Wettbewerb und Konsumentenverhalten
Die Preisunterschiede zwischen OEM- und IAM-Teilen können bis zu 50 % betragen – je nach Komponente sogar mehr. Diese Differenz resultiert aus mehreren Ursachen: höherer Markenwert der Originalteile, exklusiver Vertrieb, aber auch strategisch aufrechterhaltene Preisniveaus durch die Hersteller. Für Werkstätten, Versicherungen und Flottenbetreiber ist der Preisvorteil durch IAM-Teile wirtschaftlich oft bedeutsam. Dennoch entscheiden sich viele Endkunden – nicht zuletzt aufgrund von Garantiefragen und der wahrgenommenen Produktqualität – nach wie vor für Originalteile. Dieses Verhalten wird von OEMs durch Maßnahmen wie erweiterte Garantiefristen bei ausschließlicher Verwendung von Originalersatzteilen zusätzlich gestützt.
Marktplätze für Autoersatzteile, die sowohl originale als auch geprüfte gebrauchte Komponenten anbieten, beobachten diese Entwicklungen mit differenziertem Blick. Eine sachlich-neutrale Einschätzung liefert ein Sprecher von Ovoko, einem digitalen Marktplatz für Fahrzeugteile mit Fokus auf Wiederverwertung und Logistikdigitalisierung:
„Aus unserer Perspektive hat der Markt aktuell mit zwei gegensätzlichen Entwicklungen zu tun: einerseits einem stark konsolidierten OEM-Angebot mit hohem Markenwert, andererseits einer wachsenden Nachfrage nach preisgünstigeren und nachhaltigen Alternativen – insbesondere bei älteren Fahrzeugen. In diesem Spannungsfeld gewinnen strukturierte Plattformlösungen an Bedeutung, die technische Kompatibilität, geprüfte Qualität und transparente Preise gewährleisten können.“
Für kleine und mittelständische Unternehmen (KMU) im freien Teilehandel bedeutet diese Entwicklung sowohl eine Herausforderung als auch eine unternehmerische Chance. Die Anpassung an neue Marktlogiken, insbesondere die digitale Auffindbarkeit und Integration in Logistikketten, wird dabei zunehmend zum entscheidenden Wettbewerbsfaktor.
Aktuelle Entwicklungen und Ausblick: Öffnung versus Kontrolle
Die politischen Forderungen nach Marktöffnung mehren sich – nicht nur in Deutschland, sondern EU-weit. Verschiedene Interessenverbände, darunter CLEPA (europäischer Verband der Automobilzulieferer) und FIGIEFA (Verband des freien Ersatzteilhandels), plädieren für eine klare gesetzliche Regelung des Datenzugangs und für die Durchsetzung bestehender Rechte freier Anbieter.
Die Elektromobilität verändert die Ersatzteilstruktur grundlegend: Elektrofahrzeuge enthalten deutlich weniger bewegliche Teile, was den Bedarf an klassischen Verschleißkomponenten reduziert. Gleichzeitig steigt der Bedarf an Softwarewartung, Steuergeräteaktualisierungen und Diagnosefunktionen. Dies verschiebt das Machtverhältnis weiter zugunsten der OEMs, sofern keine regulierenden Eingriffe erfolgen.
Zukünftig wird die Rolle von Software, Künstlicher Intelligenz und datenbasierten Services im Kfz-Bereich dominieren. Werkstätten und Teilehändler müssen sich darauf einstellen, dass nicht mehr die mechanische Kompetenz, sondern der digitale Zugang zur Schlüsselressource wird. Hier entscheidet sich, wer künftig am Ersatzteilgeschäft teilnehmen darf – und wer ausgeschlossen wird.
Fazit
Der Ersatzteilemarkt ist ein Paradebeispiel für die Herausforderungen eines modernen Wettbewerbs im Spannungsfeld von Digitalisierung, Industrieinteressen und Verbraucherrechten. OEMs nutzen ihre Position gezielt zur Absicherung eigener Erlösquellen, während unabhängige Anbieter zunehmend auf regulatorische Unterstützung angewiesen sind. Die politische Entscheidung über das „Right to Repair“ ist deshalb nicht nur ein juristischer Schritt, sondern auch ein wirtschaftspolitisches Signal: Geht es um ein faires Spielfeld oder um den weiteren Ausbau industrieller Kontrollmechanismen?
Die nächsten Jahre werden zeigen, ob der Ersatzteilmarkt in Richtung Offenheit und Innovation entwickelt wird – oder ob wirtschaftliche Abschottung den Ton angibt.